Mittwoch, 20. April 2011

Augenlicht und die Engelfreundin

Es gab eine Zeit, in der hätte ich es mächtig schick gefunden eine Brille zu tragen... 
zuerst war eine Brille zu tragen ein Makel - Brillenschlange - ein häufig benutztes Kinderschimpfwort... Lag vermutlich daran, dass damals Brillen alles andere als schön waren, die Gläser schwer, und wenn sie eine große Sehschwäche ausgleichen mußten obendrein auch noch sehr dick und die Augen des Trägers sahen für den Gegenüber seltsam riesig aus... 

Irgendwann waren Gläser, Dicke, Schwere, unnatürlich wirkende Augen kein Thema mehr, Brillen wurden modern... dünne Kunststoffgläser... Neben Schuh- und Handygeschäften schienen teilweise auch die Brillengeschäfte das Bild der Einkaufsstraßen zu bestimmen... 


Und jetzt - seit einem Jahr kann ich regelrecht von Tag zu Tag beobachten das mit meinen Augen etwas nicht stimmt - allerdings weiß ich nicht wirklich was - und das was mir dazu einfällt... lieber nicht...
Es fing mit dem Gefühl an immer wieder einen ganz leichten Schleier vor den Augen zu haben ohne das ich hätte sagen können das ich schlecht sehe... einfach das Gefühl die Augen reiben zu müssen und dann würde dieser Schleiereindruck verschwinden... 
Die Erklärung schien mir klar - trockene, gereizte Augen durch zuviel am Bildschirm sitzen. Irgendwann bin ich dann aber sicherheitshalber doch zum Augenarzt gegangen - das war letzten Sommer - und neulich war ich ja auch beim Optiker wegen der Fahrerlaubnis - in beiden Fällen - Fernsicht erfordert keine Brille, Augen okay... 


Das ist noch gar nicht so lange her, aber seitdem kann ich immer schlechter lesen, muss alles weiter weg halten um es überhaupt noch lesen zu können - geht dann auch, aber strengt sehr an. Manchmal so sehr, dass ich das Gefühl habe, die Anstrengung würde weniger wenn ich nur mit einem Auge gucke, das andere zuhalte oder einfach zukneife. Und das ist nun mal gar nicht gut - da bin ich mir ziemlich sicher... Aber der Mensch kann sich ja auch viel einbilden...


Gestern als ich sowieso in der Stadt war, kam ich an einem Brillengeschäft vorbei und es schien mir eine gute Gelegenheit mir eine Lesebrille zu kaufen - natürlich nicht irgendeine - sondern eine die meine Einschränkung ausgleicht. 
Dienstbeflissen wie die Mitarbeiterin da war, wollte sie meine Augen richtig testen - das Ergebnis - beim Lesen brauche ich tatsächlich eine leichte Lesehilfe, Fernsicht unverändert nicht brillenwürdig - ABER - 
bei einem Test - es waren da rote und grüne Quadrate mit Zahlen - machte sie einen "Filter" hin - und die Quadrate waren nicht mehr nebeneinander angeordnet sondern schienen irgendwie seltsam ineinander zu sein - und je mehr ich mich anstrengte sie richtig zu sehen - desto merkwürdiger ineinander gingen sie... Jetzt bin ich ja richtig beunruhigt... 
Ich denke ich werde dann wohl doch noch mal zum Arzt gehen und prüfen lassen was da los ist.


Ein Stück der Beunruhigung kommt vermutlich daher, dass meine Engel-Freundin immer gesagt hat das mit ihren Augen etwas nicht stimmt... Es war ähnlich undramatisch wie jetzt bei mir... 
dann kamen kurz danach andere gesundheitliche Probleme dazu - auch nicht unbedingt  beunruhigend - und als sie dann nach ein paar Wochen dann doch zum Arzt ging, war das tatsächlich der Anfang vom Ende. 

Das war vor ungefähr 5 Jahren. An dieses Jahr kann ich mich noch genau erinnern. 
An dem ersten schönen Sonnentag des Jahres sind Freundin Sausewind, Engelfreundin und ich abends in einem Außenlokal essen gegangen. So schön warm der Tag auch war, abends wurde es noch ziemlich kühl - aber wir waren viel zu vergnügt, gut gelaunt, voller Pläne und haben das nicht wirklich gemerkt - oder zumindest nicht genug, als das es uns in das Lokal hätte vertreiben können. 
Das war unser letzter gemeinsamer unbeschwerter Abend -  nur Tage später stand eine schlimme Diagnose im Raum - Gehirntumor... 
Nach der Op wurde es zur traurigen Gewissheit, dass es kein Gehirntumor war sondern "nur" eine Metastase - und als der eigentliche Tumor gefunden wurde, war das Leben endgültig in wenigen Wochen vorbei... 


Die Engelfreundin - ich kannte sie damals noch gar nicht sooooo lange, aber in kürzester Zeit ist sie ein ganz wichtiger Mensch für mich geworden. Wir hatten nur so wenig Zeit zusammen und trotzdem ist sie einer der Menschen der mir heute noch immer wieder fehlt. 
Es gibt Menschen die vergisst man nicht, sie ist einer davon für mich. Manchmal kommt es mir so vor als wäre sie das Bindeglied zwischen mir und Freundin Sausewind... ein bisschen so als müßten wir befreundet bleiben, uns um uns gegenseitig kümmern - weil sie uns diesen Wert mit auf den Weg gegeben hat.


Es ging am Ende alles sehr schnell - ich glaube von jenem unbeschwerten Abend in dem Lokal bis zum Ende waren es nicht einmal drei Monate... drei Monate in denen es schon sehr schnell klar war, dass es keine Hoffnung gibt, nicht den kleinsten dünnsten Strohhalm... 

Es war eine merkwürdige Zeit - eine in der das Leben einfach weiterging als wäre nichts - und gleichzeitig war nichts mehr wie es war. Es war eine Zeit der Hilflosigkeit, wo das Dasein so wenig schien und mehr als das nicht ging... 
Und es war eine Zeit die sich heute noch so anfühlt als wäre ich viel zuwenig da gewesen... Ich habe keine Ahnung was ich anders hätte machen sollen, hätte machen können - aber es fühlt sich schon sehr an als hätte es anders sein müssen.


Ich kann mich an den Tag der Trauerfeier erinnern... als wir die Friedhofskapelle verließen, läuteten am anderen Ende des Ortes in Sichtweite die Kirchglocken für eine Hochzeit... 
Ich glaube noch nie war mir so bewußt wie nah Anfang und Ende zusammen liegen wie in jenem Augenblick. Immer fängt in dem gleichen Moment etwas Neues an, indem etwas anderes zu Ende geht.