Sonntag, 10. April 2011

Alter und Gewohnheiten

Wenn es in diesem Jahr einen Tag gegeben hat, der perfekt dazu gewesen wäre sich auf das Fahrrad zu schwingen und von einer Anhöhe aus die aufgehende Morgensonne zu fotografieren - dann sicher der heutige.

Ich bin früh genug wach geworden, alles hat einen wunderschönen Sonnenaufgang versprochen, es ist Sonntag und ich muss nicht zur Arbeit...
aber dann sind da noch die liebgewordenen Gewohnheiten...

Es muss schon eine Verpflichtung von außen sein, der ich mich nicht entziehen kann, um darauf zu verzichten meinen Kaffee im Bett zu trinken und dem Tag entgegen zu bummeln - bevorzugt mit einer Reportage über Dinge mit denen ich mich sonst nicht beschäftige... Klima, Wetter, Umwelt, Weltall, Geschichte...
Ein bisschen ist das so als würde ich mir damit sagen - dieser Tag gehört mir... da kann ich ganz viel - wenn ich will, aber ich muss nicht. 

Das zumindest ist der Grundsatz und schließt überhaupt nicht aus, dass ich nicht doch eines Sonntagsmorgens aus dem Bett in die Klamotten springen werde um es ganz anders zu  machen... 
Wer weiß, vielleicht wird das dann der Tag sein, an dem sich meine Vorstellung wie ein Sonntag für mich anfangen muss, über Bord werfe. Heute ist dieser Tag auf jeden Fall nicht. 

Die Vorstellung aber es genauso die nächsten 20 Jahre machen zu müssen, nur weil ich es die letzten 10 auch schon so gemacht habe - das würde sich für mich anfühlen wie irgendwo mittendrin oder gar am Ende einbetoniert zu sein und vor verschlossenen Türen zu stehen.
So gesehen bin ich dann wohl ein Gewohnheitstier ohne wirklich eins zu sein.

Das fällt mir gerade ein, weil es in meiner grauen Vorzeit mal einen Menschen gab, der damit irgendwann gar nicht mehr klar kam.
Jeder Hauch von Veränderung schien etwas Bedrohliches zu sein und Grund zu Argwohn, Mißtrauen. Ein Satz den ich in jenen Tagen sehr oft zu hören bekam "... aber du hast doch immer gesagt..." Da lösten selbst kleinste Dinge Grundsatzdiskusionen aus. Zum Beispiel habe ich - untypisch Frau - meine Liebe zu Schuhen erst sehr spät entdeckt. Bis dahin hatte ich immer nur 2 Paar und wenn die abgelaufen waren, habe ich neue gekauft... Das es auf einmal sehr viele mehr sein mussten war nicht das Problem, er hatte selber einen Schuhtick... Das was aber seiner Meinung nach hinter dieser Veränderung stecken könnte - sehr gefährlich ;-)... Arbeiten war für mich viele Jahre ein notwendiges Übel dem ich zwar mit viel Pflichtgefühl und dem Ehrgeiz sie gut zu machen nachgegangen bin, aber immer an erster Stelle das Ziel hatte Geld zu verdienen... Weiterbildung, Fortbildung, studieren... mehr Verantwortung übernehmen wollen - das kam erst viel später... das war an Gefährlichkeit kaum noch zu überbieten... Überhaupt gab es ganz viele Dinge die ich für mich neu entdeckt habe - ganz oft durch Denkanstöße von anderen Menschen von denen ich dann mehr wissen wollte, sie verstehen, ausprobieren und manches davon hätte ihm auch gefallen können... ich glaube an der Stelle haben wir uns auseinander entwickelt - ich wollte die Freiheit das auch noch nach vielen Jahren Veränderungen sein dürfen, er die Sicherheit das alles bleibt wie es ist...

"Du hast doch immer gesagt..."  - Ja, habe ich - irgendwann als es für mich richtig schien... solange es mir richtig schien und passte. Aber Menschen verändern sich (im Idealfall in die gleiche Richtung).

Wenn man mich fragen würde wie alt ich bin, dann wäre die richtigste Antwort - zwischen 16 und 105.

Manches kann ich noch immer wie mit 16 sehen, fühlen, die gleiche Sehnsucht, noch immer der gleiche Traum. Dazu braucht es mitunter eine Erinnerung, das Wetter, einen Duft, ein Lied - und dann ist es in mir wieder wie damals mit 16 und ich fange an mich so zu fühlen, es ist als wäre ich noch immer die, die ich war. 
Und im Kern ist es wohl auch so.

Aber dann gibt es auch noch die Jahre die seitdem vergangen sind, in denen man viel erlebt und (hoffentlich) gelernt hat - vor allem auch über sich selber.

Es gibt Augenblicke in denen ich mich wie 16 fühle 
und doch ist es nicht mehr wie mit 16, man denkt weiter voraus, ordnet Dinge anders ein, sieht die 2 Seiten die alles im Leben hat, ist sich der möglichen Konsequenzen, Verpflichtungen bewußter... 

Mit 16, 18 und auch später noch - habe ich oft gesagt, sehr oft sogar,  "ich würde nie..."
und davon was ich nie würde, völlig undenkbar für mich war, hatte ich eine sehr genaue Vorstellung.
Es hat viele Jahre gebraucht bis ich merkte, das manche dieser undenkbaren Dinge für mich sehr wohl denkbar wurden, weil ich sie auf einmal auch noch einmal von einer ganz anderen Seite sehen konnte, z.B. weil sich mein Selbstverständnis geändert hat.
Von da an war es dann wohl fast nur noch ein Katzensprung dahin, dass manches inzwischen denkbar gewordene auch machbar wurde. 

Sich verändern können, dürfen - nicht sprunghaft launisch von Tag zu Tag - aber langsam mit den Jahren - das ist für mich im Leben unterwegs sein und das was ich als Freiheit bezeichnen würde.

Das für mich zu erkennen und mir zu erlauben ist auch nicht über Nacht geschehen.
Als ich die ersten male auf "... aber du hast doch immer gesagt..." getroffen bin, war ich selber völlig verunsichert... stimmt, ich hatte wirklich gesagt und da konnte ich doch jetzt nicht "auf einmal" ... Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, dann war das sicher die Zeit in der ich mich so sehr eingeengt fühlte, dass ich in seiner Nähe manchmal keine Luft mehr bekam, meine Schritte auf dem Nachhauseweg immer langsamer wurden...

... und wie 105 fühle ich mich an den Tagen an denen einfach von allem zuviel war... das ist dann wie ausgelaugt am Ende stehen - aber mit dem Glück zu wissen das es morgen auch schon wieder ganz ganz anders sein kann weil nicht alles was sich wie ein Ende anfühlt auch wirklich eines ist. Manchmal ist es einfach nur die Verschnaufpause die es braucht um eine Standortbestimmung durchzuführen, tief Luft zu holen um dann mit Freude, Spaß, Neugierde im Leben unterwegs zu sein...