Sonntag, 8. Mai 2011

Löwenstadt

Und wieder ein so durch und durch schöner Morgen - und obendrein ein Sonntagmorgen an dem nichts außer die Kirchenglocken die Stille durchbricht. Ein bisschen fühlt es sich an wie alleine auf der Welt zu sein - wissend das es später am Tag ganz anders sein wird. Vielleicht macht dieses Wissen die ruhige Zeit am Morgen so kostbar. So ruhig wird es erst heute abend wieder sein wenn die Sonne anfängt unterzugehen... 


Man weiß schon lange, dass in jeder Minute, jeder Sekunde unglaubliche Mengen von Sinneseindrücken auf uns einprasseln - kein Wunder das ganz viel davon uns gar nicht bewußt ist und wird - sonst würden wir vermutlich alle verrückt. 
Was darüber entscheidet welche dieser Informationen dann im Bewußtsein landet - das fände ich dann aber schon sehr interessant. 
Das fällt mir gerade ein, weil etwas mein Interesse geweckt hat, von dem ich eher gedacht hätte das es als nebensächliche Randinformation in den Untiefen meines Unterbewußtseins verschwindet. Auf einmal war da "Singapur" . 


Natürlich habe ich das irgendwo schon oft gehört, gelesen, war Schauplatz so mancher Spielfilmszene. Ohne weiteres Hinterfragen habe ich Singapur als eine weltoffene, moderne Großstadt in irgendeinem Land in Asien abgespeichert.


Mein ganz früherer Chef hatte so eine freundlich klingende Redewendung, wenn jemand von etwas keine Ahnung hatte. Er sagte dann immer das die Kenntnisse von Xy im Bereich AB "überschaubar" seien. 
Meine geografischen Kenntnisse sind eindeutig überschaubar - und nachdem Singapur erst einmal in meinem Bewußtsein aufgetaucht war und mein Interesse geweckt hat, wollte ich natürlich wissen wo ich das auf der Landkarte zu suchen habe.


Ein Grund wieso ich das Internet so liebe - es ist eine wahre Fundgrube für Wissen jeglicher Art. Singapur hätte ich jetzt natürlich auch leicht in einem Atlas gefunden. Aber es gibt so unglaublich viele Dinge die ich höre und von denen ich dann mehr wissen will - ohne das Internet wüßte ich gar nicht wo ich mich die Infos zusammen suchen soll, in welcher Art von Lektüre und Literatur überhaupt... Den ganzen Tag in irgendwelchen Bibliotheken abhängen - ich denke die Mühe würde ich mir nicht machen, die Zeit dazu hätte ich auch gar nicht... 


Wie dem auch sei - ich hab im Internet gesucht - und gefunden - Singapur wurde von mir in einer völlig falschen Schublade abgelegt. 
Es ist nicht einfach eine Großstadt irgendwo in Asien. Und was es da sonst noch zu lesen gab über das Land fand ich sehr spannend - und teilweise unvorstellbar, z.B.  gibt es als  Strafe noch Hiebe mit dem Rohrstock durch extra ausgebildete Justizbeamte??  Und noch sehr lange in unsere Zeit hinein waren die als von der Landesführung als "widernatürlich empfundene Sexualpraktiken"  strafbar?... 
Andere Länder, andere Sitten... auf jeden Fall war Singapur bei mir in einer völlig falschen Schublade gelandet.


Singapur - es fühlt sich an wie ein Stück Neugier auf die große weite Welt die so fern meiner eigenen kleinen Welt ist. Das sind immer wieder die Augenblicke, in denen ich die Begrenztheit meiner eigenen nicht mehr richtig zu werten weiß. 


Ich bin umgeben von der Ruhe und Stille die ich so mag und die ich mir selber sehr bewußt ausgesucht habe, ein weiter Blick über das Land, meine kleine Welt, eine Ordnung und ein System wo alles seinen Platz hat, wo jeder den Weg kennt. Es ist nicht alles gut, aber man kennt die Schwachstellen.

Aus dieser Sicht heraus fällt es mir mitunter schwer mir vorzustellen - obwohl ich weiß das es so ist - das es vielleicht schon gar nicht weit von hier - genau in diesem Augenblick ganz anders ist - und das bunte Leben pulsiert, im Guten wie im Schlechten. Manchmal fühlt es sich dann an wie etwas "zu verpassen" . 
Es ist, als würde es nicht zusammen passen die Finger am Puls der Zeit zu haben, wenn man sich dazu entschlossen hat ein Landei zu sein. Das ist dann auch der Augenblick, indem soetwas wie Fernweh in mir ist - die Sehnsucht auch in diese andere Welt einzutauchen, mittendrin im Abenteuer Leben zu sein mit all seinen Facetten, zu sehen, fühlen, erleben was so fern meiner Wirklichkeit ist...


letztlich dann aber wohlwissend, das ich am Ende des Tages nie woanders sein wollte als da wo ich jetzt bin - "zuhause".


 Mein Fernweh hält sich letztlich in Grenzen, weil ich weiß das das was es auslöst, die Wirklichkeit mit größter Wahrscheinlich so gar nicht halten kann. 
Natürlich würde ich mir jetzt gerne Singapur mal ansehen und besser noch Kontakt mit Menschen haben die dort leben um mir mein eigenes Bild von Land und Leuten zu machen jenseits der Netzinformationen. Das was ich mir aber sonst noch vorstelle - vor allem eben dann auch die Größe des Landes, die vielen Wolkenkratzer, viele Menschen, ein riesiger Hafen - letztlich bliebe die als Ganzes unerlebbar.


Mir fällt dazu immer mein Besuch in Los Angeles vor vielen Jahren ein. Diese gigantische Stadt, die Wolkenkraterschluchten, die Vororte... all das was ich mir so ausgemalt habe, teilweise aus Filmen und Reportagen kannte, das wollte ich hautnah erleben. Gerade durch die Filmaufnahmen von oben auf die Stadt - besonders wenn es Nacht war und die Stadt nur durch das Lichtermeer ihrer Wolkenkratzer  als solche zu erkennen war, wurde meine Phantasie beflügelt.


Es war schön in Los Angeles, keine Frage. Aber letztlich war ich in Los Angeles ohne dort gewesen zu sein.
Ich glaube man kann die Größe, Vielfalt oder was auch immer - einer Stadt im Ganzen einfach nicht erleben - sondern immer nur als Ausschnitte und die dann bestenfalls zusammen setzen. 


Auf der Suche nach den Hollywood Hills haben wir uns damals verfahren. Von irgendeinem Highway aus haben wir den bekannten Schriftzug in der Ferne gesehen und wollten näher ran. 
Auf der Suche nach diesem näher ran sind wir dann überall und nirgends gewesen - wir fuhren durch Straßen in denen rechts und links die Hochhäuser standen - aber es fühlte sich nicht wie L.A. an, es hätte ein Straßenzug in jeder beliebigen anderen Stadt sein können - einer die viel kleiner ist und nur einen einzigen solchen Straßenzuges hat... 


Wir kreisten durch Vororte und L.A. blieb ungefühlt - es hätte jeder beliebige Vorort irgendwo sein können - oder sogar eine Kleinstadt irgendwo. Von da aus wo wir standen und soweit wir sehen konnten war es immer eine kleine überschaubare Welt - egal wie gigantisch und weit sie auch aus der Distanz wirkt und ist. 


Das ist dann vielleicht auch schon das Geheimnis der großen weiten, kleinen Welt. Vom eigenen Standpunkt mittendrin, ist die immer nur so groß und weit wie das Auge sehen kann. Die ganze Größe zeigt sich erst aus der Distanz.


So gesehen zieht es mich manchmal vielleicht in die Ferne um neue Eindrücke zu sammeln - aber dann will ich ganz schnell wieder nach hause weil ich hier aus der Distanz den vielleicht besten Ausblick auf die große weite Welt habe.