Freitag, 10. Juni 2011

Warnschuss

Unglaublich wieviel in ganz kurzer Zeit passieren kann - wie man innerhalb weniger Stunden einmal durch die Hölle sausen kann und dann vor Freude weinen... 
Unglaublich wie alltäglich ein Tag anfangen kann und sekundenschnell zu einem totalen Ausnahmezustand werden... 

Heute morgen bin ich wie geplant in die Stadt gefahren um mich mit Freundin Sausewind zu treffen. 


Während ich auf sie vor dem noch geschlossenen Einkaufszentrum gewartet habe, entdeckte ich in einem Schaufenster DIE Tasche. Obwohl ich erwartet habe das die so teuer ist dass frau sie sich nicht einfach nur mal so an einem beliebigen Freitag kauft, war sie richtig günstig und für mich stand fest das ich sie kaufen werde sobald das Geschäft aufmacht.

Schon als ich Freundin Sausewind von weitem auf mich zukommen sah war klar - es stimmt etwas nicht. Und wenn ich hätte sagen sollen wie ich darauf komme, ich hätte es nicht können - ich hab sie gesehen und das Gefühl war einfach da. Sie wollte zuerst mit mir einen Kaffeetrinken gehen und mir dann sagen was ist. Und da saßen wir also vor unserem Milchkaffee, Freundin Sausewind schossen die Tränen in die Augen... Sie hat heute morgen einen großen gut tastbaren Knoten in der Brust entdeckt - und nirgends mehr so kurzfristig für heute einen Termin beim Frauenarzt bekommen... 


Sekundenschnell ist mir da alles mögliche durch den Kopf geschossen... Gestern hatten wir zu dritt einen unbeschwerten, fröhlichen Tag - und heute das... genau wie damals mit der Engelsfreundin - ein letzter unbeschwerter Tag und dann war nichts mehr wie es war und endet in weniger als einem Vierteljahr mit dem Tod der Engelfreundin... Natürlich kann so ein Knoten alles mögliche sein, aber in so einem Moment fällt einem dann eben kaum eine der anderen Möglichkeiten ein, Knoten ist erst einmal Knoten und Brustkrebs nun einmal nicht gerade selten... und es ist von einer auf die andere Sekunde erst einmal nichts mehr wie es eben gerade noch war, ein bisschen so als würde der Tod an die Tür klopfen... 


Völlig klar war, das Freundin Sausewind jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann und bis nächste Woche - das hätte sie in der Situation verständlicherweise überhaupt nicht ausgehalten und schon erst recht nicht weil sie ohnehin sehr ausgepowert und erschöpft ist. Längst vergessen die tolle Tasche... 


Die erste Allgemeinmedizinerin die wir ansteuerten, hatte heute die Praxis geschlossen. 
Und ich habe Freundin Sausewind überredet das wir zu meinem Hausarzt fahren. Ich finde den einfach gut - auch wenn die Praxisausstattung noch aus einer völlig anderen Zeit zu stammen scheint. 
Obwohl mir nach allem anderen als zum Lachen oder Grinsen war, schoss mir trotzdem ganz kurz der Gedanke durch den Kopf - die Steigerung von "Frauen gehen immer zu zweit aufs WC", ist eindeutig - Frauen gehen auch zu zweit ins Sprechzimmer... Denn genau das haben wir getan.
Der Arzt kam dann auch zu dem Ergebnis das irgendwie ja von Anfang an klar war, es muss dringend abgeklärt werden und erst einmal nicht gut aussieht. Noch während er das sagte, griff er auch schon zum Telefon. 
Seine Frau ist Frauenärztin, hatte die Sprechstunde zwar schon beendet - wir durften aber nachdem ihr Mann sie bat meine Freundin noch anzusehen, gleich auf der Stelle noch bei ihr vorbei kommen. Nach einer gefühlten Ewigkeit dann das vorläufige Ergebnisse - eine Zyste und zu 80 Prozent kein bösartiges Geschehen... 


Klingt jetzt alles so einfach, vielleicht harmlos, schnell geklärt - aber diese kurze Zeit war tatsächlich ein Ritt durch die Hölle. Und ich bin noch immer völlig erschlagen von den vielen sehr intensiven Gefühlen dieser eigentlich so kurzen Zeit. 
Und was vielleicht auch ein bisschen merkwürdig klingt - mir geht es jetzt richtig gut nachdem ich so einen scheußlichen Vormittag hatte.


Ich verstehe das für uns als einen Warnschuss -  
"Passt besser auf euch und euer Leben auf!"


Damals als die Engelfreundin so krank war, ein wegoperierter Hirntumor sich lediglich als Metastase entpuppte und der eigentliche Krebs noch in ihr wütete - eine schlimme Aussicht - aber zu der Zeit eben auch noch nicht ganz hoffnungslos... da haben wir uns so fest vorgenommen - wenn wir das durchgestanden haben - dann werden wir... und wir hatten richtig viele gute Ideen mit denen wir uns zusammen für uns selber Mühe geben wollten... Wenige Wochen später war die Engelfreundin tot - und wir die fassungslos zurück blieben sind irgendwann wieder in den Alltagstrott verfallen und haben vergessen was wir uns vorgenommen und versprochen hatten...

Dazu fällt mir ein das ich ein Jobangebot auf dem Tisch habe. Es ist einerseits sehr verlockend  aus verschieden Gründen - auf der anderen Seite weiß ich aber auch sehr genau, wieviel Zeit und Energie er beansprucht und wie wenig freie Zeit mir damit bleiben würde... wahrscheinlich könnte ich nicht einmal mehr meinem Lehrauftrag nachkommen. 
Bis heute morgen war ich ziemlich entschlossen mich auf diesen Job dennoch einzulassen - jetzt bin ich wieder sehr zweigeteilt - mehr Euros und alleinige Leitungsverantwortung sind einfach nicht alles im Leben - denn das kann, wie der heutige Vormittag sehr intensiv fühlbar zeigte, schneller vorbei sein als man gucken kann - buchstäblich von einer Sekunde auf die andere.