Montag, 3. Oktober 2011

Tag der Wiedervereinigung

Mein ganz persönlicher, gefühlter Tag der Wiedervereinigung - der Tag an dem der Osten Deutschlands zu einem gefühlten Teil meines Heimatlandes wurde, war am 27.12.2005.

Aufgewachsen in einer Zeit des kalten Krieges war "der Osten", alles "hinter dem eisernen Vorhang" etwas sehr Bedrohliches von dem nichts Gutes ausgeht, von dem nichts Gutes zu erwarten ist. Hinter dem Vorhang stand der Feind, der nur auf eine günstige Gelegenheit wartete, um uns die Freiheit zu nehmen.


Ostdeutschland - auch ein Stück Deutschland - und doch offensichtlich eine ganz andere Welt, die zu der hinter diesem eisernen Vorhang gehörte.
Man hörte viel - von Unfreiheit, von Mangel in den Geschäften - und das sie Menschen an der Grenze erschossen, die das Land verlassen wollte... 
Es war die Zeit der Spione die an scheinbar dubiosen Grenzübergängen ausgetauscht wurden... ein Stück "James Bond" in der Wirklichkeit..., Jagdbomber die im Tiefflug über unser Land in Manövern hinweg donnerten, um auf den feindlichen Angriff vorbereitet zu sein... Ostdeutschland war auch Stasi... Beängstigend, nicht einschätzbar... 

"... es ist eine feindliche Grenze, aber die Menschen dahinter gehören zu uns... Sie gehören zu uns - aber wir können ihnen nicht trauen, jeder könnte ein Spion sein und uns schaden wollen... "
Das muss man als heranwachsender Mensch erst einmal verstehen und in dieser Widersprüchlichkeit zusammen bringen... ich konnte es nicht und eigentlich hat es mich zu jener Zeit auch nicht sonderlich interessiert. Der Osten - das waren so oder so die Bösen und wir im Westen waren die Guten, die Verteidiger der Freiheit. Anders habe ich es nicht gelernt und die Welt auch gar nicht gesehen... Es gab riesige Raktensilos hier wie dort, Abschreckung das Zauberwort, Militärparaden zur Demonstration der Macht im Osten, SDI - Krieg der Sterne - Vorhaben in Amerika... Die Welt durch die bösen im Osten am Abgrund und wir gezwungen das Gute um jeden Preis und mit aller Macht zu verteidigen...


Ich glaube den ersten Menschen aus Ostdeutschland habe ich Anfang der 80iger Jahre kennengelernt. Sie war damals so alt wie ich - und ich fand sie recht merkwürdig - vielleicht einfach schon nur deshalb weil sie aus dem Osten kam. 
Sie hat mein Bild über die Menschen im Osten über lange Jahre negativ geprägt, sogar heute noch erinnere ich mich an ihren Namen... Zum Beispiel gab es damals die großen Demos zum Bau der Startbahn West in Frankfurt. Dort kam es regelmäßig zu großen Ausschreitungen und massiven Polizeieinsätzen. Dieses Mädchen - irgendwie über die Mauer gekommen - hatte aus meiner damaligen Sicht also nichts Besseres zu tun, als kaum in "unserem Land" angekommen zu diesen Demos zu gehen und sich dann noch zu beschweren das man hier noch nicht einmal richtig demonstrieren kann. Damals war mir nicht klar - und ich habe es auch nicht hinterfragt - was sie unter "richtig demonstrieren" versteht - für mich war das gleichbedeutend mit Randale machen - und ich weiß noch genau wie ich mich fragte, wieso sie denn wohl nicht einfach in der DDR geblieben ist wenn sie offensichtlich meint das sie das dort besser kann...


Und dann - Jahre später - kam der Fall der Mauer, noch mehr dieser merkwürdigen Menschen schienen "unser" Land zu überrollen, wollten alles haben - manchmal hatte ich den Eindruck das denen nicht unbedingt klar ist, das auch bei uns nicht jeder alles einfach nur mal so hat und haben kann... 


Damals wurden Menschen fast aller Berufe gesucht die wenigstens zeitlich befristet in den Osten gehen und dort helfen die marode Wirtschaft in Gang zu bringen... teilweise mit sehr verlockenden Angeboten... Ich wäre für nichts auf der Welt dahin gegangen... Ostdeutschland - das war in meiner Vorstellung ein Land das weit hinter der Zeit zurück lag, dunkel, schmutzig, herunter gekommen, kaputt - und immer auch noch irgendwie Feindesland mit so ganz anderen Menschen... 

Aus meiner anfänglichen Abneigung wurde irgendwann wohl soetwas wie Gleichgültigkeit. Es war wie es war und gut. Zwischenzeitlich hatte ich "ganz normale" Menschen kennengelernt, von denen sich später herausstellte das sie auch ursprünglich aus dem Osten kamen - und sie haben ein Stück weit das Bild das ich bis dahin von den Ostmenschen hatte korrigiert.

Wenn ich in späteren Jahren über all das nachdachte, dann fiel mir auf, dass es immer die Menschen und weniger die Umstände sind, die das Bild das ich mir mache prägen, die Neugierde wecken, Begeisterung erzeugen und die Bereitschaft alles auch noch einmal von einer ganz anderen Seite zu betrachten (oder eben auch nicht). Es kommt soviel weniger auf alles andere an, als auf die Menschen.


In meinem Fall hat es den ganz besonderen Menschen gebraucht, damit die Mauer in meinem Kopf fällt, ich bereit war noch einmal hinzusehen und zu erkennen das weder das Ostland noch die Ostmenschen schlechter oder besser sind als das Westland und die Westmenschen. 
"Ossi" oder "Wessi" ist nie in meinen Sprachschatz eingezogen, in der Zeit der vorurteilsvollen Abneigung hätte mir "Ossi"  zu verniedlichend geklungen, in der Zeit der Gleichgültigkeit gab es keinen Grund für diese Differenzierung mehr...und inzwischen ist es wohl ohnehin weitgehend aus dem Sprachgebrauch verschwunden oder?


Dieses noch einmal hinsehen, nachfragen, begeistern lassen, neugierig werden, anders fühlen und werten - begann am 27.12.2005. Schade nur, das es nicht soviel früher war - aber es hat eben seine Zeit und den einen besonderen Menschen dazu gebraucht - und damit ist es dann ja auch wieder gut.