Sonntag, 13. März 2011

Japan ist nah

Ein gemütlicher Sonntag wird das nicht... So oder so nicht.
Abgesehen davon das eine Freundin heute vormittag kommt weil sie eine "private Fortbildung" braucht, hat mich Schmierläppchen auch gebeten heute nachmittag noch einmal auf seine Unterlagen zu sehen die er für eine Besprechung morgen vorbereitet hat.
Gestern abend als er kurz anrief um mich zu fragen ob ich mir die Zeit für ihn nehmen kann, hat er gesagt - "ich weiß ja auch nicht wie das gekommen ist, aber immer wenn ich mit Ihnen gesprochen habe, geht es mir doch wieder ein bisschen besser..." Und Schmierläppchen wäre nicht Schmierläppchen wenn er das nicht gleich ein wenig relativieren würde - "... na ja, nicht immer, aber meistens..."
Es wird ein starkes Stück Überzeugungsarbeit brauchen damit er für sich erkennt, dass das Raubtier ihn kaputt macht wenn er nicht für sich selber Kompensationsmechanismen entwickelt - und anfängt zu begreifen und fühlen das er nichts davon persönlich nehmen darf weil es eben auch nicht persönlich ist.

Wenn ein Mensch einen Kontrollzwang hat und ein übersteigertes Geltungsbewußtsein - dann kontrolliert er mich nicht weil ich es brauche - sondern weil er es braucht... Und ich bin auch nicht klein nur weil jemand anderes sich aufplustert, niemand qualifiziert sich alleine dadurch das er andere abqualifiziert... ich hoffe das wird Schmierläppchen irgendwann auch noch erkennen, hoffentlich nicht zu spät... Na ja, und bis dahin wird er mich wohl anrufen - und das ist dann ja auch ganz gut so.


Aber ganz abgesehen davon wird dieser Sonntag nicht gemütlich, auch Japan ist inzwischen in meinem Wohnzimmer angekommen.
Es verändert meine Wahrnehmung, ist wie eine Rückbesinnung auf das was wirklich wichtig ist und schreit nahezu danach, eigene Standpunkte zu überdenken und alles neu zu gewichten.

Die ersten Tage als mir das alles so "unaufgeregt" erschien, da waren es ein paar Schlagworte - Jahrhundertbeben, Tsunami, AKW betroffen, Explosion...
Aber gleichzeitig - wie immer bei besonderen Vorfällen - geben sich bei allen Nachrichtensendern "die Experten" die Türklinke in die Hand. In diesem Fall konnte man sehr viel über die Bauweisen in Japan erfahren und weil die so sehr auf Erdbeben ausgerichtet ist, vergleichsweise wenige (Hoch)häuser eingestürzt sind. Das was aktuell aus Japan an Bildern kam war sehr begrenzt, die Zahl der Opfer ebenfalls, viele Menschen wurden zwar noch vermisst... Liveberichte wo es hieß das man sich hilft, einige Geschäfte offen blieben um denen Unterschlupf zu bieten die gerade keine Gelegenheit mehr hatten nach hause zu kommen... und man sogar abends in Restaurants essen ging... Ein bisschen entstand bei mir das Bild einer Nation in der Krise, die aber bestens auf so ein Ereignis vorbereitet war und alles bestmöglich im Griff hat und sich zu helfen weiß...

Heute morgen schlafen "die Experten" wohl noch und können deshalb nicht in die Fernsehstudios,
gleichzeitig gibt es immer mehr Bilder aus dem Land - und ... mir fehlen die Worte.
Die Bilder an sich sind schon sehr verstörend, erschütternd, unerträglich - sich aber vorzustellen was alles an diesen Bildern hängt an Leid, Verzweiflung, Elend ist gar nicht möglich.

Wenn ich mir nur mal vorstelle ich würde meine Wohnung für kurze Zeit verlieren mit allem was drin ist - das wäre schon eine Katastrophe - gleichzeitig aber niemanden mehr haben der helfen kann weil alle in gleicher Situation sind soweit das Auge blickt, keine Infrastruktur mehr - und noch der Verlust von Menschen die einem am Herzen liegen...
In diesem Ausmaß mir das vorzustellen - ist schon unmöglich... Schon die Vorstellung könnte ich nicht aushalten... Wenn derart betroffen mitfühlen im ganzen Ausmaß ginge, wie kann ein Mensch das aushalten???

Ich kann mir nur vorstellen, dass die Menschen dort derart unter Schock stehen das sie "funktionieren". Das ist dann vielleicht auch schon das Beste was man diesen Menschen im Augenblick wünschen kann, dass sie irgendwo in sich noch die Kraft haben zu funktionieren...  und das wenn der Schock vergeht, sie dann wieder in einer "Normalität" oder "Ordnung"  sind, die ihnen die Kraft gibt das Erlebte zu verarbeiten. Obwohl mir wirklich jede Vorstellung davon fehlt wie das je gehen soll.

Aber die Wirklichkeit ist ja noch viel schlimmer - die armen Menschen können sich jetzt nicht ausschließlich um das eigene Überleben kümmern, um die Rettung der jetzt noch irgendwo Hilflosen, um die Versorgung, das Aufräumen... Es ist ja alles noch nicht vorbei - da ist ja auch noch der drohende atomare Gau...

An diesem Morgen ist Japan für mich sehr nah. Ich weiß nicht viel mehr über Japan als das was man im täglichen Leben so mitbekommt, aus Geschichtsbüchern kennt... die wenigen Japaner die ich je gesehen habe, haben in mir den Eindruck eines sehr freundlichen, begeisterungsfähigen Volkes  hinterlassen. Diese scheinbar allzeit lachenden Menschen jetzt in so einer Katastrophe zu wissen, das sie für lange lange Zeit ihr Lachen verloren haben werden... dafür gibt es keine Worte - und wenn doch, so kann ich sie nicht finden.

Und dann höre ich unsere Pappnasen von Regierung... Sicherheitsstandards in Deutschland werden überprüft... Diese Technologie war gefährlich, ist gefährlich und wird es auf unabsehbare Zeit bleiben, ganz abgesehen davon, dass bis heute ja noch keine Lösung zur Endlagerung für den anfallenden Müll gefunden ist - und das alleine ist Grund genug sich davon zu verabschieden.
Und sie ist nicht nur gefährlich - sondern im Ernstfall nicht beherrschbar mit unüberschaubaren Folgen.

Gestern habe ich "meinen Menschen" vermisst weil es mit ihm soviel mehr Spaß gemacht hätte Pläne für den Tag zu schmieden, in den Sonnenschein zu stürmen, im Straßencafe einen Kaffee zu trinken... einfach den schönen Tag mit ihm zu erleben... Heute vermisse ich ihn und seine Sicht auf die Welt - um mich in meiner zu bestätigen oder sie noch einmal zu verändern, zu vertiefen... neue Denkanstöße zu geben...