Samstag, 1. Januar 2011

Neujahr

Der erste Tag des neuen Jahres -

und wie eigentlich alle Jahre wieder, ist genau der grau, trüb, leise. Inzwischen hat es angefangen auf das kalte Weiß zu regnen. Würden am Horizont sich nicht die Baumgruppen dem Himmel entgegen strecken, dann könnte man kaum ausmachen wo die schneebedeckte Weite der Erde aufhört und wo der milchig-trübe Himmel anfängt.
Und es ist still... kein Mensch, kein Auto auf den Straßen... nichts als Stille... wenn man mal davon absieht das um 8.00 Uhr die Kirchenglocken lange geläutet haben.

Im Augenblick bin ich noch am Rätseln ob man in meiner neuen Heimat den Wechsel ins neue Jahr verschlafen hat und vergessen Raketen laut knallend und zischend in den Nachthimmel zu schießen - oder ob ich so fest geschlafen habe, das ich es einfach überhört habe. Nicht einmal im Halbschlaf habe ich etwas gehört was auch nur annähernd an eine Silvesternacht erinnert hätte.

"Gefühlte Zeit" oder auch Zeitgefühl war das erste was mir heute morgen einfiel nachdem ich aufgewacht bin. Offensichtlich habe ich sehr tief und fest geschlafen - denn irgendeinen Böller oder eine Rakete hat es hier doch bestimmt gegeben... aber trotzdem hat es sich nicht angefühlt wie ein Morgen der neugierig macht, an dessen Beginn ich ausgeruht bin.
Natürlich - ich wußte schon was für ein Tag ist und auf die Uhr hatte ich auch gesehen und kannte die Tageszeit - aber angefühlt hat es sich überhaupt nicht so... genau genommen hat sich die Zeit überhaupt gar nicht angefühlt... nicht nach dem ersten Tag des neuen Jahres, nicht nach frühem Morgen, nicht nach Samstag... Genauso gut hätte es abend sein können, mitten in der Nacht oder noch ganz früh am Morgen... genauso gut hätte es ein freier Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag sein können... Und selbst das Frei fühlt sich nicht wirklich nach frei an sondern bestenfalls wie eine kurze Verschnaufpause die gut genutzt sein will bevor danach die Zeit für alles wieder knapp bemessen ist.

Ich habe Sehnsucht nach scheinbar endlos langen Tagen die ich verbummeln und vertrödeln kann, nach langen Abenden die ich genießen kann, an denen die Seele der Nacht entgegen baumelt, die Tagträume sich langsam in Nachtträume verwandeln...
Und ich habe Sehnsucht danach das sich das Leben wie leben anfühlt und nicht wie ein nie enden wollender Kampf durch die Zeit...

Ich glaube nie hat sich ein neues Jahr weniger neu angefühlt als dieses mal...
Was so wenig bunt, hoffnungsvoll und lebendig beginnt - kann nur gut enden - oder?

13.17 Uhr:
Die Sonne ist rauß gekommen und was mir heute so richtig auffällt - ich habe - vielleicht zum allerersten mal eine richtig sonnenhelles zuhause... keine Häuser, vor allem aber keine Bäume die die Sonne daran hindern ihr Licht, die Strahlen und die Wärme in mein zuhause zu werfen...

Mit dem Sonnenschein der draußen das Weiß langsam antauen lässt, dem Wind der an dem speziellen Kalt-Luft-Austausch-Klappen klappert - ein Tag der doch ein bisschen anders zu werden scheint als heute morgen noch gedacht... nicht nur trüb... sondern eben auch voller Licht.
Gerade habe ich auf dem Balkon gestanden - und die Sonne hat mir richtig warm ins Gesicht geschienen. Hätte ich meine Sonnenliege da, ich glaube ich würde mich drauf legen, dick in eine Decke eingekuschelt und ein Buch lesen...

Ich muss an sein letztes Hallo denken - an die vielen Worte die so schön klangen - und in dem Zusammenhang an den Spruch

"Schöne Worte sind nicht immer wahr und wahre Worte nicht immer schön..."

Mir kann er mit diesen Worten nichts vormachen - die Taten sprechen ihre eigene Sprache... Das er sich selber etwas vormacht... das finde ich... keine Ahnung wie. Es gab eine Zeit da wäre es mir sicher wichtig gewesen die Dinge richtig zu stellen, meine Sicht auf die Dinge offen zu legen... Heute denke ich nur - es lohnt sich nicht... Kostet ganz viel Energie und ändern würde es letztlich nichts. Aber irgendwie hat ja auch jeder das Recht zu glauben was er glauben will und auch die Dinge zu sehen wie er sie sehen will - egal ob sie nun so sind oder eben auch ganz anders.

Blicke von meinem Balkon... und jetzt wo ich hier wohne wird es vermutlich eines der meist fotografiertesten Flecken Land werden... einfach weil ich diesen Blick in die Weite liebe...





Und das sind die Schaumblasen in die ich meine Füße gleich eintauchen werde... Diese feinen weichen Bläschen in denen sich bunt das Licht spiegelt, die leise knisternd zerplatzen... die mag ich auch sehr... Und irgendwann würde ich gerne ein Bild mit einer riesigen Schaumblase machen in der sich ganz viel von dem was sie umgibt spiegelt... Eine bunt schillernde Seifenblase in der meine ganze Welt zu sehen ist - das würde mir auch gefallen...


15.21 Uhr:
Inzwischen hat sich die Sonne längst wieder irgendwo hinter den Wolken versteckt. Es regnet Bindfäden und überall man hört das leise Glucksen mit dem der Schnee als Wassertropfen in die Regenrinnen fällt und davon gespült wird.

Eigentlich hätte ich soviel zu tun, aber zu nichts wirklich Lust... Einfach rumhängen, die Zeit vertrödeln, meinen Gedanken nachhängen, mich von irgendwelchen Filmchen berieseln lassen... zu sehr viel mehr reicht es heute irgendwie nicht... Aber muss es ja auch nicht - oder?

Nicht einmal dieses neue Jahr fängt langsam an.
Vielleicht habe ich es ganz falsch in Erinnerung - aber irgendwie kommt es mir so vor, als wären die ersten Tage eines neuen Jahres immer soetwas wie eine Schonfrist gewesen in der erst alles wieder langsam in Gang kommt. Auch das ist dieses mal ganz anders. Es hat sich dieses Jahr schon nicht wirklich wie Weihnachten angefühlt, nicht wie der letzte Tag des einen Jahres und heute nicht wie der erste des neuen Jahres. Es fühlt sich einfach an wie gestern aus vollem Tempo ins frei gestartet, heute mal frei, morgen auch noch - und ab Montag geht es mit Vollgas weiter... Es ist kein Ende des einen und der Beginn des anderen spürbar... Es geht einfach nur mit Tempo und ohne wirkliche Verschnaufpause weiter und weiter und weiter... 

17.48 Uhr:
Die Dämmerung setzt ein. Vermutlich ist es nur Einbildung, aber es kommt mir so vor, als wäre es sonst um diese Zeit schon viel dunkler gewesen.
Draußen gluckert der Schnee noch immer als Wassertropfen in der Regenrinne davon. Die Schneefläche auf meinem Balkon ist schon viel kleiner geworden... Ob das das beginnende Ende des Winters ist? Ich glaube nicht - ich hoffe nicht... auch wenn heute nachmittag die warmen Sonnenstrahlen und ihr Licht schon Lust auf Frühling gemacht haben... Aber es ist ja mal gerade der erste Tag im Januar... Noch viel zu früh um an Frühling zu denken...

""Dem Glück gehört immer nur der Augenblick"

Schade das ich das so oft vergesse. Da mache ich dann was notwendig ist, was ich machen muss, was irgendwie zum Tag dazu gehört - und denke gar nicht daran, dass das ja nicht zwangsläufig ausschließt das man das auch genießen kann... 
So wie z.B. gerade das Duschen... das heiße Wasser auf der Haut, die dampfende heiße Luft in der Duschkabine, der weiche Schaum auf der Haut und noch mehr, immer mehr heißes Wasser das auf die Haut prasselt als wollte es so die Lebensgeister wecken. Während ich unter der Dusche stand und es genossen habe das heiße Nass auf der Haut zu spüren und am liebsten den Wasserhahn so schnell gar nicht wieder abgestellt hätte, da fiel mir auf wie selten ich das mit Genuss mache - sondern husch husch - fast schon wie ein notwendiges Übel.
Und so ist es im Laufe eines Tages vermutlich mit vielen Dingen... in ihnen könnte ein Augenblick  Glück liegen, wenn man sie denn nur bewußt wahr nehmen würde, statt sie an sich vorüber rauschen zu lassen.

18.15 Uhr:
Heute nachmittag habe ich "Der Mann mit der eisernen Maske" gesehen, später dann "7 Jahre Tibet"...  Und da war sie wieder - die Neugier - Neugier auf das Lebensgefühl dieser ganz anderen Zeiten und Welten. Louis der XIV... Die Besetzung Tibets und die Flucht des Daliah Lamas... 

Es gibt soviel womit man mich neugierig machen kann... Eigentlich ist es so einfach der Wirklichkeit zu entfliehen und abzutauchen.
Vorhin als ich eingekuschelt in meiner Decke auf dem Sofa lag und diese Filmchen ansah, da kam mir auf einmal - wie aus dem Nichts die Erinnerung an die Zeit in der ich mich nicht losreißen konnte, nicht ins Bett gehen - obwohl ich völlig übermüdet war, Rückenschmerzen und eiskalte Füße hatte...
Von ihm konnte ich nie genug bekommen, selbst Stunden haben nicht gereicht, vor Müdigkeit die Augen fast nicht mehr aufhalten können konnte micht nicht von ihm losreißen... 
Lange ist es her, ich weiß... 

aber daran erinnern werde ich mich wohl für immer,
immer wieder...
Erstaunlich wieviel einfach nur in unserem Kopf passiert, wie sehr das Erleben von dem Gefühl abhängt.
Mein Alltag, meine wirklich tatsächlich nächste Nähe wurde kaum berührt und trotzdem war es eine Nähe die alles verändert hat. Nie zuvor und nie wieder danach habe ich mich so "komplett", so "vollständig" gefühlt wie in der Zeit mit ihm. 
Jetzt bin ich wieder irgendwie nur halb - manchmal nicht einmal sicher ob das nun die bessere oder die schlechtere Hälfte ist... Ein Teil von mir fehlt - kein Tag an dem ich das nicht früher oder später merke... 
Sich vollständig fühlen... das war Sicherheit tief in mir, die Zauberkraft die mich im Alltag stark gemacht hat, zuversichtlich, vertrauensvoll, zuversichtlich... Wenn einfach die andere Hälfte von einem fehlt - dann fehlt die Sicherheit und damit sehr viel von der Kraft die es braucht dem Alltag zu trotzen... das merke ich immer mehr.

Na ja, damit nur noch halb zu sein und das der andere Teil von mir fehlt... damit werde ich irgendwie klar kommen müssen... ich arbeite dran - auch wenn sich dabei dann manchmal offensichtlich ganz andere Gedanken in meinen Kopf bohren.

Keine Ahnung wie ich bei diesen Gedanken gelandet bin - aber heute ist mir aufgefallen wieviele Menschen die ich mehr oder weniger gut kannte, sich selber aus dem Leben genommen haben.
Zuerst einmal die Ingrid - eine Schulfreundin während einer kurzen Zeit... als sie ging war sie noch nicht einmal volljährig. Sie war schwanger und "aus gutem katholischen Hause", ein Ausbilder von mir - eigentlich vor Selbstbewußtsein strotzend, sicherer Job, sicheres Einkommen für das er sich in diesem Leben nicht mehr hätte tot arbeiten müssen, ein Arzt der selber an einer schweren Krankheit litt - Alzheimer munkelte man damals, ein Arzt der krumme Geschäfte mit Apotheken und verschreibungspflichtigen Medikamenten gemacht haben soll, eine Krankengymnastin die von ihrem Mann verlassen wurde, ein blonder Schönling den ich mal als Kollegen hatte, dem scheinbar alles zuflog und hinter dieser Fassade wie es später hieß hochgradig depressiv... und das sind jetzt nur die, die mir so auf Anhieb einfallen... ganz schön viele die ihren Platz im Leben nicht mehr finden konnten... 

20.06 Uhr:
Tintenherz... Manchmal habe ich einen flüchtigen Gedanken, einen Wunsch, stelle mir etwas schön vor... aber noch bevor ich das bewußt wahrnehme, verfolge, mir mehr Gedanken dazu mache, ist es schon wieder vorbei. In Tintenherz geht es unter anderem um das Vorlesen aus Büchern... Und jetzt da in dem Film so eine schöne Geschichte darum gesponnen wurde, fiel es mir wieder ein... In den letzten Jahren habe ich mir ganz oft gewünscht eine gute-Nacht-Geschichte erzählt zu bekommen - und als ich Tintenherz sah, da dachte ich daran das ich gerne jemand wäre der so gut erzählen oder vorlesen kann das die Worte in den Köpfen der Zuhörer zu leben beginnen... Oder das ich so ein Zuhörer bin der sich von den Bildern im eigenen Kopf verzaubern lässt...