Mittwoch, 11. November 2015

Helmut Schmidt ist tot

Gestern ist er gestorben im Alter von 96 Jahren.

Als 1962 die große Sturmflut Hamburg traf, gab es mich noch gar nicht. Das Sturmfluten etwas Schlimmes sind hab ich als kleines Mädchen dann aus den Gesprächen der Erwachsenen schon mitbekommen, ohne aber zu wissen was das ist überhaupt ist.
Das Einzige was klar zu sein schien - da ist auf einmal ganz viel Wasser und man muss schnell auf einen Berg laufen.
Im Lesebuch der zweiten Klasse stand eine illustrierte Geschichte vom Hochwasser. Eine Mutter eilte mit ihren beiden Kindern auf eine Anhöhe um sie in Sicherheit zu bringen. An der Stelle an der es nicht weiter rauf ging und das Wasser dennoch immer weiter stieg, forderte sie die beiden Kinder auf, auf ihre Schultern zu klettern. Am Ende wurden die Kinder gerettet, sie aber wurde in den eiskalten Fluten zu Stein.
So präsent sich die Bedrohung von Sturmfluten und Hochwasser anfühlte, durch diese Geschichte im Lesebuch noch verstärkt wurde - wo wenig hatte sie mit meiner erlebten Wirklichkeit zu tun. Erst Jahrzehnte später sah ich dann die Bilder von "abgesoffenen" Städten in Deutschland.

Den "heißen Herbst" und die Bedrohung durch Terroristen habe ich als Kind miterlebt. Die immer neuen Schlagzeilen zur Entführung von Hanns-Martin Schleyer. Diese verstörenden Bilder dieses Menschen die durch die Nachrichten gingen und auf allen Titelseiten von Zeitungen zu sehen waren.
Überall Plakate mit den gesuchten Terroristen, überall Polizei - aus meiner kindlichen Erinnerung heraus, und vermutlich war es auch so - bis an die Zähne bewaffnet...
Auf jeden Fall sind wir einmal in eine Straßenkontrolle geraten. Mein Vater der laut Führerschein eine Brille tragen musste, hat schnell seine Brille aus dem Handschuhfach gezaubert und sich aufgesetzt. Die bewaffneten Polizisten haben ins Auto geguckt und uns schnell weiterfahren lassen. Zu dieser Zeit wurden die Autos häufig ganz genau durchsucht... in unserem Fall sahen sie vermutlich die verschüchterte Rasselbande auf dem Rücksitz und kamen zu dem Schluss das mein Vater damit als Terrorist eindeutig ausscheidet.

Dann die Entführung der Landshut... Die Ermordung des Flugkapitäns passte so überhaupt nicht in meine kindliche Vorstellung von der Welt. In meiner Welt - geprägt von Märchen und Erzählungen - haben am Ende immer "die Guten" gesiegt. Hier schien etwas ganz anders zu laufen. Dann wurde das Flugzeug gestürmt, alle Geiseln gerettet - mein Weltbild war wieder zurecht gerückt... Und dann die Ermordung von Hanns-Martin-Schleyer... und alles war wieder durcheinander.

An das Sonntagsfahrverbot - ausgelöst von der Ölkrise - kann ich mich erinnern, an die unglaublichen Bilder dieser völlig leeren Autobahnen...

Bei all diesen Erinnerungen an eine bewegende Zeit, kann ich mich nicht an den damaligen Bundeskanzler erinnern. Das erstemal kam er durch das konstruktive Mißtrauensvotum in meine Wahrnehmung.

In viel späteren Jahren war er auf seine Art noch immer da - mehr als soviele - oder fast alle Politiker die aus der aktiven Politik ausgeschieden sind. Er ist nicht irgendwo im Nirgendwo verschwunden - sondern war noch immer präsent und hat sich zu Wort gemeldet - und in meiner Wahrnehmung - je älter er wurde desto mehr...

Gestern in in den Nachrufen konnte man unter anderem hören, er sei das Gewissen dieses Landes gewesen. Ich denke das trifft es ganz gut. Wer wird jetzt unser Gewissen sein? Bei dem aufgescheuchten Haufen in Berlin sehe ich gerade niemanden mit diesem Potential. Da kann ich nicht einmal den Hauch eines roten Fadens entdecken. Keinen Plan, nichts Wegweisendes...